Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre hat einmal gesagt: „Fortschritt ist das Werk der Unzufriedenen.“ Ob die berühmte Galionsfigur des Existentialismus durch seine Aussage den Erfindergeist der Menschen lobhuldigen wollte, bleibt nur zu erahnen. Fest steht, dass immer wieder Erfindungen und Innovationen das Licht der Welt erblickten, die das Potenzial hatten, gesellschaftliche und wirtschaftliche Disruptionen herbeizuführen.
Die wohl letzte Erfindung, die in dieser Aufzählung ihre Erwähnung unbestritten verdient hat, ist das Internet. Eine der vielen Errungenschaften des Internets ist der Online-Handel. Der Austausch von Produkten und Dienstleistungen ist für jeden zugänglich. Transaktionen erfolgen mittels Lastschrift, Kreditkarte oder Online-Bezahldiensten (wie u. a. PayPal) und benötigen daher eine dritte Partei zur Abwicklung. Es fallen Gebühren an sowie ein Vertrauensvorschuss, den wir erbringen müssen, da wir möchten, dass involvierte dritte Parteien mit unseren Daten sensibel und vertrauenswürdig umgehen. Dieser Intermediär, der im Falle einer Transaktion häufig eine Bank ist, verwaltet unsere Informationen auf einem Zentralserver.
Kurz gesagt, es entsteht ein potenzielles Sicherheitsrisiko durch investiertes Vertrauen in eine dritte Partei. Am 31. Oktober 2008, kurz nach dem Zusammenbruch der US-amerikanischen Großbank Lehman Brothers im Zuge der Weltwirtschaftskrise, erschien das achtseitige Werk „Bitcoin: Ein elektronisches Peer-to-Peer Bezahlsystem“ [1] unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto, seines Zeichens eine weitere Person, die sich wohl zu Jean Paul Sartres Unzufriedenen zählen lässt. Die zugrunde liegende Blockchain-Technologie der Bitcoin bietet zahlreichen disruptiven Sprengstoff, deren Potenzial sich auf vielseitige Anwendungsbereiche anwenden lässt.
Blockchain: Das Konzept im Überblick
Die Blockchain-Technologie, auch bekannt als Distributed Ledger Technologie[2], ist eine dezentralisierte Datenbank, auf welcher Daten unveränderbar und fälschungssicher übertragen und gespeichert werden können. Vier wesentliche Merkmale und deren gegenseitige Wechselwirkung definieren die Funktionsweise der Blockchain entscheidend:[3]
- Dezentralität
- Konsensmechanismus
- Kryptografie
- Verkettungsprinzip
Dezentralität
Es gibt keine zentrale Instanz mehr, welche eine Kontroll- oder Speicherfunktion übernimmt. Dadurch ergibt sich eine hohe Netzausfallsicherheit. Fällt ein Knotenpunkt bzw. Netzwerkteilnehmer aus, bricht das System nicht zusammen, wie es bei einem zentralen System der Fall wäre, sondern erhält seine Funktion aufrecht. Die dezentrale Natur der Blockchain erlaubt eine verteilte Datenspeicherung für alle Teilnehmenden bzw. Knotenpunkte des Netzwerks. Aufgrund der Gleichberechtigung aller Teilnehmenden spricht man auch von einer Netzwerkdemokratie.
Konsensmechanismus
Soll also eine neue Information in einen Block hinzugefügt, eine Transaktion validiert oder Daten aktualisiert werden, müssen Entscheidungen getroffen werden. Wie in einer Demokratie üblich, benötigt die Entscheidungsfindung den Konsens der Mehrheit. Blöcke werden nach einem Konsensverfahren hinzugefügt und können im Nachhinein nicht mehr verändert werden. In der Regel erfolgt die Blockerstellung nach einem intensiven Arbeitsnachweis. Im Falle des Proof-of-Work ist dies die rechnerische Lösung eines Verschlüsselungsproblems. Es herrscht hohe Manipulationssicherheit, da eine Modifizierung der Blöcke hohe Rechenleistung und eine Zustimmung von 51 % des Netzwerks erfordert.
Kryptografie
Da durch die Dezentralität jeder Knotenpunkt Zugriff auf alle Daten hat, stellt sich die Frage, wie sicher und vertraulich Daten behandelt werden können. Der Einsatz von Kryptografie sorgt für die Verschlüsselung von vertraulichen Informationen und verhindert so unberechtigten Zugriff unerwünschter Parteien. Außerdem gewährleistet sie Pseudonymität und Fälschungssicherheit in der Blockchain.
Verkettungsprinzip
Ein weiteres entscheidendes Merkmal ist das sogenannte Verkettungsprinzip der Blockchain. Alle Blöcke besitzen einen individuellen Hashwert, eine Art digitalen Fingerabdruck, bauen chronologisch aufeinander auf und beinhalten gleichzeitig Informationen des Vorgängerblocks. Es entsteht also eine Kette von Blöcken. So können Herkunftsnachweise aufgrund einer durchgängigen Transparenz sichergestellt werden.
Funktionsweise der Blockchain
Möchte Unternehmen A eine Lizenz an Unternehmen B verkaufen, wird ein Block erstellt, der die notwendigen Transaktionsinformationen enthält. Dieser neu geschaffene Block wird über das Netzwerk verteilt und nun von allen Netzwerkteilnehmern überprüft. Das Audit stellt sicher, ob die Transaktionen valide sind, sprich ob Unternehmen B im Austausch für einen monetären Gegenwert die Lizenz von Unternehmen A erhalten hat.
Für die Durchführung einer Transaktion benötigen beide Unternehmen eine sogenannte Wallet. Dort werden für alle Beteiligten zwei kryptografische Schlüsselpaare generiert. Jeweils ein öffentlicher und ein privater Schlüssel. Der öffentliche Schlüssel ist für alle sichtbar, hat die Erscheinungsform einer Codezeile und erfüllt den Zweck einer viralen Postadresse, auf dem sich nun Daten, Informationen oder Werte von anderen empfangen lassen. Der private Schlüssel ist einzig und allein dem jeweiligen Inhaber des Schlüssels bekannt, wodurch der sichere und exklusive Zugang zu vertraulichen Inhalten, Informationen und Daten ermöglicht wird.
Über den Konsensmechanismus wird anschließend über die Gültigkeit der Transaktion entschieden. Haben mehr als 51 % des Netzwerks die Transaktion bestätigt, wird der Block der Kette hinzugefügt. Nachweislich lässt sich für alle Teilnehmer im Netzwerk nachvollziehen, dass Unternehmen A an Unternehmen B eine Lizenz verkauft hat. Diese Information ist dauerhaft fälschungssicher und transparent in der Blockchain gespeichert. [4]
Blockchain: Einsatzgebiete für die Supply Chain
Gegenwärtig hat der wirtschaftliche Bewegungs- und Handlungsspielraum vieler bedeutender Marktteilnehmer ein globales Ausmaß erreicht, welches eine komplexe Vernetzung von Ländern, Infrastrukturen, Institutionen und Unternehmen zur Folge hat. Internationale Lieferketten sind aufgrund dieser hohen Komplexität und der hohen Anzahl an involvierten Akteuren entlang der Lieferkette schwer zu dokumentieren und nachzuvollziehen. Folgende Einsatzgebiete der Blockchain-Technologie finden bereits in der Supply Chain Verwendung: [5]
- Herkunftsnachweise & Fälschungserkennung
- Compliance Tracking / Zertifikatsmanagement
- Rückverfolgbarkeit des Warenstroms
- Überwachung des Produktstatus
- Smart Contract (automatisierte Wenn-Dann Funktionen)
- Digitalisierung von Werten (Tokenisierung)
So kann die Rückverfolgbarkeit des Warenstroms im internationalen Güterverkehr trotz der Unübersichtlichkeit der Akteure über die Blockchain realisiert werden. Von Logistikdienstleistern wie Spediteuren und Reedereien über Häfen und deren Belegschaft, aber auch zuständigen Zollbehörden, verwenden alle Akteure in den meisten Fällen ihre eigenen Systeme, welche in der Regel einen niedrigen Digitalisierungsgrad aufweisen. Der Mehrwert der Blockchain-Anwendung findet sich in der Fälschungssicherheit für Dokumente des Warenverkehrs. Die Handelsplattform Tradelens [6]gilt als etablierte Integration der Blockchain im Containerschiffsverkehr beziehungsweise in internationale Lieferketten. Hier können auch Smart Contracts eingebunden werden, da sich diese gut in die Distributed-Ledger Technologie implementieren lassen. Diese Smart Contracts basieren auf Wenn-Dann-Funktionen. Wenn Container X den Hafen von Antwerpen erreicht, dann soll eine Zahlungsaufforderung für Unternehmen Y in Gang gesetzt werden. So reduziert sich die Fehlerquote, während gleichzeitig Prozesse automatisch ausgeführt werden.
Des Weiteren kann die Blockchain Technologie auch Einfluss auf das gesellschaftliche Leben ausüben. Das öffentliche Bewusstsein gestaltet sich zunehmend sensibler, wenn es um die Themen Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz geht. Auch hier lassen sich Behauptungen von Fairtrade- und Bio-Gütesiegeln wahrheitsgemäß entlang der Wertschöpfungskette nachverfolgen. So kann wirkliches Vertrauen vom Hersteller bis zum Endverbraucher hergestellt werden, da sämtliche Stufen der Wertschöpfungskette eines Produktes sichtbar werden und somit vom Verbraucher selbst auf ihre Nachhaltigkeit begutachtet werden können.
Fazit
Die Blockchain-Technologie ist noch nicht vollständig ausgereift und steht daher noch ganz am Anfang ihres Könnens. Obwohl der hohe Strom- und Energieverbrauch [7] häufig in der Kritik steht, werden wir zunehmend die Dienste der Blockchain zu schätzen lernen. Für Unternehmen, deren operatives Kerngeschäft in der Supply Chain liegt, eröffnet die Distributed Ledger Technologie die beste Lösung für die Bereiche Datenintegrität, Datenaustausch und Datentransparenz, mit welchen Lieferanten und Käufern zu kämpfen haben. Daten sind der Rohstoff der Zukunft. Der Zugang zu zeitnahen und vertrauenswürdigen Daten ist die Grundlage für die Bewältigung der heutigen Herausforderungen in der übergreifenden Lieferkette und die Blockchain Technologie das optimale Werkzeug für die erfolgreiche Handhabung mit Daten.[8]
[1] Quelle: Bitcoin: Ein elektronisches Peer-to-Peer Zahlungssystem bitcoin.pdf
[2] Quelle: BSI – Blockchain – Blockchain/Distributed-Ledger-Technologie (bund.de)
[3] Quelle: Blockchain für die Supply-Chain – Was ein Praktiker wissen muss! – YouTube
[4] Quelle: Was ist eine Blockchain? – einfach und verständlich erklärt | NZZ – YouTube
[5] Quelle: EFI_Gutachten_2019.pdf (e-fi.de) Seite 80-92
[6] Quelle: TradeLens | Digitizing Global Supply Chains
[7] Quelle: Cambridge Bitcoin Electricity Consumption Index (CBECI) (ccaf.io)
[8] Quelle: JX9KDGPJ (ibm.com)